Gemeinsam mit der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG untersuchen die WSW das Potenzial von Geothermie für die Wärmeversorgung in Wuppertal. Im Frühjahr 2023 sollen Ergebnisse einer geologischen Machbarkeitsanalyse vorliegen.
„Die Energiewende beinhaltet auch eine Wärmewende – für urbane Regionen braucht es insbesondere im Bestand seriöse und umsetzbare Lösungen“, fordert der Vorstandsvorsitzende der Wuppertaler Stadtwerke, Markus Hilkenbach. Sein Unternehmen hat sich im letzten Jahr Klimaneutralität bis 2035 und die Dekarbonisierung von Energieerzeugung und ÖPNV in Wuppertal als strategische Ziele gesetzt. Die WSW wollen Wegbereiter für eine nachhaltige Versorgung und Mobilität sein. „Das bedeutet, dass wir uns als Unternehmen verändern müssen“, macht Hilkenbach deutlich, „und zwar in manchen Bereichen grundlegend.“ Vor dem Hintergrund der Energie- und Verkehrswende steht das klassische Geschäftsmodell der Stadtwerke auf dem Prüfstand. Die Phase der Strategiekonzepte und Maßnahmenplanung ist so gut wie abgeschlossen und erste Umsetzungsprojekte haben bereits begonnen. “In den nächsten Wochen und Monaten werden wir mit weiteren Projekten starten und zudem neue Produkte bzw. Services vorstellen“, kündigt der WSW-Chef an. Die Dekarbonisierungsstrategie bildet in diesem Kontext auch den Rahmen für das laufende Geothermie-Projekt.
"NRW mit seiner starken Tradition als Energie-, Industrie- und Bergbaustandort hat alles, um die Herausforderungen der Wärmewende zu meistern", ist sich Gregor Bussmann, Projektleiter am Fraunhofer IEG, sicher. "Die Geothermie kann in NRW über 70 Prozent des kommunalen Wärmebedarfes decken. Ich freue mich, dass die WSW mit der Machbarkeitsanalyse den ersten Schritt machen, um ihre Kunden nachhaltig, bezahlbar und versorgungssicher mit geothermaler Wärme zu versorgen. Gemeinsam gestalten wir die klimaneutralen Energiesysteme der Zukunft."
Bereits 2018 hat man in Wuppertal ein Kohlekraftwerk stillgelegt und produziert seitdem einen Großteil der Fernwärme klimafreundlich in Kraft-Wärme-Kopplung mit Abwärme aus der Müllverbrennung. Fernwärme ist bisher das wichtigste Medium bei der Dekarbonisierung der Wärmeproduktion in der 350.000-Einwohner-Stadt im Bergischen Land. In den nächsten Jahren könnte Erdwärme als zweite CO2-neutrale Wärmequelle hinzukommen.
Die Nachfrage nach und Nutzung von Wärmepumpen steigt – vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine - rasant an, auch in Wuppertal. Private Bauherren und Immobilienbesitzer nutzen dabei meist oberflächennahe Erdsonden, Erdkollektoren oder Wärme aus der Umgebungsluft, um Einfamilienhäuser zu versorgen. „Das ist ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz und unterstützt das Ziel der Bundesregierung, jährlich 500.000 Wärmepumpen neu zu installieren“, sagt Hilkenbach. Als kommunaler Energieversorger nehmen die WSW ihre Verantwortung in diesem Bereich sehr ernst: „Ziel muss es sein, den Wuppertaler Bürgerinnen und Bürgern zukünftig standardmäßig CO2-freie Wärme zur Verfügung stellen“, so der WSW-Chef. Dazu könnte Wärme aus Geothermie einen erheblichen Beitrag leisten. Noch ist es aber nicht soweit.
Die tiefere geologische Untergrundstruktur im Wuppertaler Stadtgebiet ist weitgehend unerforscht. Das Potenzial möglicher Wärmequellen in bis zu 5000 Meter Tiefe werden die WSW nun gemeinsam mit dem Fraunhofer IEG genauer untersuchen. „Bei der so genannten hydrothermalen Geothermie wird über Bohrungen heißes Tiefenwasser an die Oberfläche gepumpt. Dem Wasser wird die Wärme entzogen, dann wird es abgekühlt wieder in den Untergrund zurück gepumpt“, erklärt Dominik Pröpper, Leiter Energieerzeugung der WSW, eine Technologie, die zur Anwendung kommen könnte.
Für die Potenzialanalyse, die jetzt durchgeführt wird, muss aber noch nicht gebohrt werden. Dabei geht es erstmal nur um die Erhebung von vorhandenen geologischen Daten und die Erstellung von Modellen des Untergrundes. Untersucht wird außerdem, wie die Erdwärme in Wuppertal überhaupt mit Leitungsnetzen verteilt und von welchen Verbrauchern sie genutzt werden könnte. Dabei spielen ökologische, technologische, infrastrukturelle und auch finanzielle Aspekte eine Rolle. „Eine Nutzung von Geothermie im großen Maßstab ist auf jeden Fall mit hohen Investitionen verbunden“, sagt Markus Hilkenbach. Dies ist mit ein Grund, warum Erdwärme bisher nur eine untergeordnete Rolle auf dem Wärmemarkt spielt. Nach Einschätzung der WSW wird das aber nicht so bleiben. Das Bergische Land, am Nordrand des Rheinischen Schiefergebirges gelegen, weist im Untergrund für die Geothermie interessante Gesteine auf, wie insbesondere die über 380 Millionen Jahre alten Kalksteine aus dem Erdzeitalter des Devons. Ein Standortvorteil, den die WSW gerne für das Erreichen ihrer Klimaziele nutzen möchten.
Das gemeinsame Forschungsprojekt von WSW und Fraunhofer IEG ist in diesem Herbst gestartet und stellt geowissenschaftliche Daten der Region zusammen. Erste Ergebnisse und Unter-Tage-Modelle sollen im Frühjahr 2023 vorliegen. Die WSW hoffen, darauf aufbauend dann auch Aussagen zu möglichen Über-Tage-Anwendungs- und Anlagenkonzepten treffen zu können. „Entscheidende Aspekte bilden dabei das nutzbare Temperaturniveau und die Einbindung ins bestehende Wärmenetz oder die Schaffung zusätzlicher Nahwärmenetze“, erklärt Dominik Pröpper. Im nächsten Schritt würden dann auch Probebohrungen und seismische Untersuchungen durchgeführt, um die Umsetzung konkreter Projekte der kommenden Jahre vorzubereiten.
Wuppertal könnte damit einen wichtigen Beitrag leisten und einen weiteren Schritt in Richtung klimaneutrale Wärmeversorgung gehen. Laut Umweltbundesamt sind in Deutschland erst 42 Tiefen-Geothermie-Anlagen in Betrieb oder im Aufbau, in Nordrhein-Westfalen beispielsweise in Marl, Bochum und Arnsberg. Weitere sind in Planung. Hinzu kommen bundesweit etwa 440.000 Anlagen mit oberflächennahen Erdsonden oder -kollektoren. Der jährliche Zubau liegt hier bei rund 27.000 Anlagen. Der Anteil erneuerbarer Energie am Endenergieverbrauch für Wärme und Kälte lag 2020 bei 16,5 Prozent. Der Großteil der Wärme in Deutschland wird durch Einsatz fossiler Brennstoffe erzeugt, in erster Linie Erdgas.
Über das Fraunhofer IEG
Das Fraunhofer IEG gestaltet die klimaneutralen Energiesysteme der Zukunft. Es unterstützt Energieversorger, Netzbetreiber, Industrieunternehmen, Technologieanbieter, Wohnungsbaugesellschaften und Kommunen bei der Transformation der Energieinfrastrukturen mit markt- und anwendungsnaher Forschung. Seine Themenfelder sind sektorengekoppelte Strom-, Gas- und Wärmenetze, Bohr- und Geotechnologien, Energie- und Verfahrenstechnik, Energiewirtschaft, Georessourcen und Geowissenschaften, Speichersysteme und Wasserstoffinfrastrukturen.
Nationale und internationale Großprojekte, etwa zum Aufbau einer globalen Wasserstoffwirtschaft, zur Tiefengeothermie oder zu integrierten Energiesystemen spielen für das Fraunhofer IEG genauso eine Rolle wie konkrete Umsetzungsprojekte in der Region, etwa zur Transformation der Wärmeversorgung von Kommunen, zur energetischen Quartiersentwicklung und zum Einsatz von Geo- und Seethermie sowie Großwärmepumpen für vom Braunkohleausstieg betroffene Nah- und Fernwärmenetze. Diese Forschungs- und Entwicklungsprojekte mit hoher Bedeutung für die Gesellschaft im Rahmen der Energiewende bearbeitet das Fraunhofer IEG in einem großen Partnernetzwerk aus Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlicher Hand.